16.11.2018

8. Jenaer Medienrechtliche Gespräche von Thüringer Landesmedienanstalt und Friedrich-Schiller-Universität zum Thema: „NetzDG – Erfolgsmodell oder Symbolpolitik?“

Veranstaltungen | Allgemeine Medienthemen

Am 15. November 2018 luden die Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) und die Friedrich-Schiller-Universität (FSU) zu einem kritischen Rück- und Ausblick zum umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Jenaer Medienrechtliche Gespräche“ unter dem Titel „NetzDG – Erfolgsmodell oder Symbolpolitik“ Experten aus Wissenschaft und Praxis ein. Durch das Bundesgesetz werden Plattformbetreiber zu Berichtspflichten und Löschungen rechtswidriger Inhalte verpflichtet. In den Jenaer Rosensälen ging es vor mehr als 70 interessierten Teilnehmern und dem parallelen Livestream kontrovers zu. Experten aus Wissenschaft und Praxis machten deutlich, wie sich das umstrittene Gesetz und die Löschpraxis aus ihrer Sicht entwickelt haben. Am Ende zogen die Veranstalter ein ambivalentes Fazit.

Kaum ein anderes Gesetz wurde in seiner Entstehungsgeschichte von Fachkreisen und Öffentlichkeit derart kritisiert, wie das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ – kurz NetzDG. Dennoch trat das Gesetz am 1. Oktober 2017 in Kraft. Seit 1. Januar 2018 werden Betreiber sozialer Netzwerke, die im Inland mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer haben, zu einem umfassenden Maßnahmenkatalog verpflichtet, der unter anderem vorsieht, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder den Zugang zu ihm zu sperren.

TLM-Direktor Jochen Fasco wies in seiner Begrüßung als Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) auf die besondere Stellung der KJM als zuständige Aufsichtsbehörde bei jugendschutzrelevanten Inhalten im Netz hin. Gleichzeitig machte er mit Blick auf die Länderzuständigkeit deutlich, dass die Aufsicht in diesem Bereich nicht privaten Wirtschaftsunternehmen überlassen werden sollte. Gerade staatliche Institutionen (Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei) sollten gestärkt werden.

Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer von der Universität zu Köln konstatierte, dass das Gesetz in seiner bisherigen Umsetzung durchaus sichtbare Erfolge ausweisen kann. Zwar könne ein einzelnes Gesetz, so auch das NetzDG, nicht allein das Problem von Hassreden und Fake-News im Netz beheben, jedoch würden die sozialen Netzwerke angehalten, sich der konsequenten Durchsetzung ihrer selbst gegebenen Richtlinien wieder stärker zu widmen.

Prof. Dr. Franz Hofmann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stellte klar, dass durch das NetzDG im Kern kein Paradigmenwechsel stattgefunden habe, wie dies immer wieder dargestellt würde. Vielmehr konnten bestimmte Rechtsverletzungen, namentlich Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz auch schon vor Verabschiedung des NetzDG zivilrechtlich geahndet werden, etwa im Wege der „mittelbaren Störerhaftung“, der lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflichten oder der Haftung für ein Unterlassen. Das NetzDG legt Facebook, YouTube und Google also keine neuen Haftungsgrundlagen auf, sondern konkretisiert zum Teil bestehende Verpflichtungen. Neu seien freilich die im Gesetz verankerten zeitlichen Vorgaben für eine Löschung oder Sperrung sowie die Bußgeldvorschriften, durch die der politische Druck auf die sozialen Netzwerke erhöht wurde. Auch könne Facebook für im öffentlichen Interesse bestehende Straftatbestände verantwortlich gemacht werden.

Dr. Frauke Bachler, zuständige Abteilungsleiterin im Bundesamt für Justiz für die Bereiche NetzDG und Verbraucherschutz, gab Einblick in die praktische Arbeit des Bundesamtes als Verfolgungsbehörde für bußgeldbewehrte Pflichten, aber auch als Ansprechpartner für Strafverfolgungsbehörden, Bürger und Medienvertreter. Erste Fallzahlen verdeutlichen das Problem: Seit Erlass des NetzDG habe die Behörde über 740 Ordnungswidrigkeits-Verfahren eingeleitet, darunter auch Verfahren aufgrund von als rechtswidrig gemeldeten Inhalten. In diesem Zusammenhang kooperiert das Bundesamt für Justiz eng mit den Strafverfolgungsbehörden. Das NetzDG führt daher auch zu Synergieeffekten bei der Strafverfolgung.

Die wichtige Rolle der regulierten Selbstkontrolle betonte Martin Drechsler, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V. (FSM). Diese sei jedoch in der derzeitigen Fassung des NetzDG nur unzureichend berücksichtigt. Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern sowie die unterschiedlichen Regelungsansätze von StGB, NetzDG und JMStV bedürfen dringend einer näheren Koordinierung und Aufklärung. Hier sei der Gesetzgeber zu „Nachbesserungsarbeiten“ gefordert.

Prof. Dr. Marc Liesching von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig griff seine Kritik am NetzDG auf. Das Gesetz sei nicht nur verfassungswidrig, sondern verletze auch Europarecht. Es schränke die grundrechtlich garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit unzulässig ein. Netzwerkbetreiber würden schon allein aus wirtschaftlichen Gründen eher eine „Löschung im Zweifelsfall“ vornehmen, statt hohe Bußgelder zu riskieren. Das führt zum sogenannten „Overblocking“, d. h. zu mehr Löschungen als notwendig. Durch die inhaltliche Unbestimmtheit des NetzDG sei eine wirklich dezidierte Prüfung der Beschwerden schwierig, was in der Praxis ebenfalls eher zu einem Overblocking führe.

In einem abschließenden Fazit zog Prof. Dr. Christian Alexander, FSU, eine erste Bilanz. Danach sei das NetzDG ein wirksames Mittel, um Intermediäre stärker in ihre Verantwortung zu nehmen. Die Praxis habe gezeigt, dass die Netzwerkbetreiber seit Erlass des NetzDG rechtswidrige Inhalte zügiger löschen. Dennoch bleiben auch Fragen offen. So müsse rechtlich geklärt werden, ob es auch einen Anspruch auf Wiedereinstellung eines gelöschten Inhaltes gibt, der sich als nicht rechtswidrig im Sinne des NetzDG herausstellt (sog. „put back“ Verfahren). Auch zukünftig sei eine breite Diskussion auf politischer und gesellschaftlicher Ebene notwendig, um die Kommunikation im Netz wieder zu einem Miteinander, statt Gegeneinander zu führen.

Hinweise:
Wie üblich, werden in Kürze Teile der Veranstaltung als Podcast und Videofile in den Internetangeboten von TLM (podcast.tlm.de) und FSU nacherlebt werden können. Am 28. Mai 2019 gehen die Jenaer Medienrechtlichen Gespräche von TLM und FSU in die nächste Runde. Als Thema ist „Influencer – Vom Privatvergnügen zum Wirtschaftsunternehmen“ vorgesehen. Eine Einladung folgt rechtzeitig und wird auch im Newsletter der TLM bekanntgemacht. Die Anmeldung zum Newsletter der TLM ist hier möglich.