07.11.2016

GEMEINSAME MEDIENINFORMATION von Thüringer Staatskanzlei und Thüringer Landesmedienanstalt

Allgemeine Medienthemen

AUSHALTEN ODER AUSHALTEN?
Kolloquium zur Entwicklung von Rundfunkbegriff und Staatsferne in Zeiten von Videoblogs, Periscope und Facebook Live

Rund 100 Interessierte diskutierten am 3. November 2016 auf Einladung der Thüringer Staatskanzlei und der TLM in der Landesvertretung des Freistaats in Berlin. Anlass für das Zusammentreffen waren die zunehmenden Aktivitäten von Staat und staatsnahen Akteuren, im Netz ihre Aktivitäten und Ideen zu präsentieren und dafür zu werben. Kritiker sehen darin teilweise Grenzbereiche zum staatsfernen Rundfunk tangiert. Dagegen sehen Befürworter darin eine moderne und notwendige Form, um mit den Bürgern zu kommunizieren.

Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach in seiner Eröffnungsrede von einer Rasanz der Entwicklung in der digitalen Welt, wodurch auch eine Neu-Definition des Rundfunkbegriffs nötig werde. „Der Rundfunkbegriff des Rundfunkstaatsvertrages ist nicht mehr up to date, sondern orientiert sich noch an der klassischen Rundfunklandschaft des vergangenen Jahrtausends. Die aktuelle Definition erfasst die heutzutage technisch gebräuchlichen Angebotsformen nicht mehr erschöpfend“, so Ramelow. Die Unterscheidung von linearen und nichtlinearen Angeboten entspreche nicht mehr der Realität. Wichtig sei vielmehr, den Rundfunkbegriff nicht allein infolge der technischen Entwicklung neu zu fassen, sondern auch das Qualitätsgebot, die Recherchetiefe sowie die Verlässlichkeit im Angebot ebenso wie die Staatsferne und das Neutralitätsgebot zu berücksichtigen.

Politikberater und Blogger Martin Fuchs informierte über aktuelle Entwicklungen und machte deutlich, dass ein Großteil aus Landes- und Bundespolitik die neuen Möglichkeiten nutzt. Gerade dort, wo Demokratiefeinde unterwegs seien, brauche es die Präsenz des Staates. Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Andreas L. Paulus erläuterte seine kritischen Ausführungen beim ZDF-Urteil des Verfassungsgerichts und betonte die Notwendigkeit der Staatsferne des Rundfunks in Zeiten der Medienkonvergenz. Aus seiner Sicht sind föderale Strukturen existentiell für die Vielfaltssicherung.

Der Minister für Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Thüringer Staatskanzlei, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, betonte in seinem Redebeitrag, dass der Rundfunkbegriff zwar weiterentwickelt werden müsse, aber nie dauerhaft definiert werden könne. „Rundfunk ist ein fluider Begriff, der immer wieder an die Realität angepasst werden muss.“ Mit Blick auf den wachsenden Populismus in vielen Staaten rief der Minister dazu auf, mit „Komplexität und Mut zur Haltung“ zu reagieren. Hoff erklärte, dass die Staatsferne der Medien auch die Handlungsformen des Staates als eigener Mediengestalter betrifft. Hier seien die Landesmedienanstalten unverzichtbar. Außerdem sei eine gelebte Zivilgesellschaft notwendig, in der lokale Sender, Bürgermedien, Freie Radios etc. erkennbar zum Meinungsbildungsprozess beitragen.

In der anschließenden Diskussion zum Thema “Was ist Rundfunk” wurde unter Moderation von Dr. Joachim Huber (Tagesspiegel) mit Siegfried Schneider, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts, Sabine Verheyen, MdEP, und Prof. Dr. Karola Wille, Vorsitzende der ARD und Intendantin des MDR, die Zukunft des Rundfunkbegriffs näher beleuchtetet. ARD-Chefin Wille betonte dabei, dass die DNA des Rundfunks, bestehend aus Breitenwirkung, Suggestivkraft und Aktualität auch im Internet nicht verloren geht und sieht eine besondere Regulierungsverantwortung mit Blick auf die Intermediäre, d.h. z. B. Google, Facebook oder Amazon.

In einem zweiten Podium zu “Wieviel Staatsferne brauchen wir in den Medien” ging es darum, inwieweit der Staat selbst an der Massenkommunikation über das Internet teilhaben darf oder sollte. Der Journalist Steffen Grimberg moderierte die Gesprächsrunde, in der Martin Fuchs, Politikberater und Blogger, Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Universität Leipzig, Dr. Constanze Kurz, Chaos Computer Club, Dr. Gregor Mayntz, Vorsitzender Bundespressekonferenz e. V. sowie Prof. Dr. Andreas L. Paulus, Richter am Bundesverfassungsgericht erörterten, ob die Gesellschaft staatliche Kommunikation mit enormer Breitenwirkung im Internet auszuhalten hat oder ob sich der Staat und die ihm zuzuordnenden Einrichtungen und Akteure ebenso wie beim klassischen Rundfunk eher weitgehend herauszuhalten haben. Prof. Dr. Gersdorf betonte einerseits die Zulässigkeit der Selbstdarstellung, sah aber auch die Notwendigkeit der Regulierung bedeutender Intermediäre durch die Landesmedienanstalten.

TLM-Direktor Jochen Fasco freute sich über die angeregten Diskussionen während und am Rande der Veranstaltung. „Die Staatsferne der Massenmedien sowie die für eine demokratische Gesellschaft notwendige Meinungsvielfalt in ihnen sind auch im Digitalzeitalter Grundwerte, die nicht vorschnell in Frage gestellt werden dürfen. Im Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken der Nutzung der neuen Technologien für unsere Gesellschaft ist eine an modernen Maßstäben ausgerichtete und ausbalancierte Aufsicht erforderlich. Wir werden den Diskurs über die Ausgestaltung einer zukunftsfähigen Medienordnung aktiv vorantreiben“, so Fasco.

Hinweise:
Den Mitschnitt der Veranstaltung als Video finden Sie hier.