24.09.2015

"Alles Porno, oder was?" Jugendsexualität und neue Medien

Jugendmedienschutz | Veranstaltungen

Großes Interesse an Thüringer Fachtagung in Ilmenau Pornografische und sexualisierte Inhalte sind im Internet allgegenwärtig und oft ohne Hürden auch für Jugendliche abrufbar. Immerhin handelt es sich bei einem Drittel des weltweiten Datenverkehrs im Internet um pornografische Themen. Am 23. September 2015 veranstalteten das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS), die Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Thüringen e. V., der Landesfilmdienst Thüringen e. V., der Erfurter Netcode e. V., die Technische Universität Ilmenau und die TLM eine Fachtagung zu dieser aktuellen und relevanten Thematik. In der Begrüßung machte Martina Reinhardt (Abteilungsleiterin im TMBJS) deutlich, dass das große Interesse an der Fachtagung zeigt, wie relevant das Thema Förderung von Medienkompetenz in Thüringen ist. Da passt es gut, dass die Landesregierung den Runden Tisch Medienkompetenz mit einer Online-Konsultation gestartet hat und alle Netzwerkpartner im Freistaat einlädt, zu diskutieren, wie die Förderung von Medienkompetenz stärker in die Bildungslandschaft integriert werden kann. Die über 150 Teilnehmenden erhielten Informationen aus verschiedenen Blickwinkeln durch die Impulsvorträge von Prof. Dr. Frank Schwab (Universität Würzburg) und Prof. Dr. Nicola Döring (TU Ilmenau) und eruierten im Anschluss verschiedene Perspektiven in fünf unterschiedlichen Workshops. Prof. Dr. Frank Schwab machte deutlich, dass die Mediennutzung von Pornografie zahlenmäßig auf hohem Niveau liegt und in Deutschland deutlich ausgeprägt ist. Empirische Studien zeigen Effekte wie Gewöhnung (u. a. der Konsum steigt – jedoch nicht härter, sondern mehr), sozialer Vergleich (u. a. Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper) und Kultivierung (u. a. verzerrte Sicht auf sexuelle Realität), jedoch sind diese Effekte eher ausgeprägt bei vorrangig Männern mit einer bestimmten Vordisposition (frauenfeindlich, niedriger Bildungsstand). Beim „Durchschnittsbürger“ lassen sich diese Effekte nicht valide nachweisen. Interessant ist die Beobachtung, dass Nicht-Porno-Rezipienten die Umwelt sexualisierter wahrnehmen, als Porno-Rezipienten (Sexy World of non Viewers). Prof. Dr. Nicola Döring betonte, dass Sexualität als wichtige Entwicklungsaufgabe des Jugendalters verstanden werden muss, die der Identitätsentwicklung dient. Hinsichtlich der Frage, was macht die Internet-Pornografie mit den Jugendlichen, verweist sie auf den Effekt, dass Jugendliche Pornografie u. a. zur Anleitung nutzen. Diese Möglichkeit stellt einen Mehrwert des Internets dar, den andere Medien in dieser Form nicht bieten. Prof. Dr. Nicola Döring verweist darauf, dass Jugendliche für das Internet ein Bewusstsein entwickelt haben, was als reflektive Nutzung zu bezeichnen ist, auch im Bereich der Pornografie-Aneignung. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist Porno Ping Pong. Das Internet stellt im Ergebnis eine wichtige Ressource zur Bewältigung der Entwicklungsaufgabe des sexuellen Erwachsenenwerdens dar. Aus pädagogischer Sicht bedarf es einer kundigen und gelassenen Begleitung, die nicht in Alarmismus verfällt und die Privatsphäre der Jugendlichen respektiert. Im Workshop 1 „Sexting – Wenn Jugendliche mobil und online über Sex kommunizieren“ thematisierte Eva Borries das Phänomen, welches in der Öffentlichkeit – oft irrtümlicherweise im pornografischen Bereich angesiedelt – skandalisiert kommuniziert wird. Im Workshop wurden der Begriff und die Hintergründe distanziert und neutral beleuchtet mit dem Ziel, zum einen Jugendliche besser verstehen zu lernen und zum anderen Pädagogen/innen und Eltern die Möglichkeit zu bieten, eine eigene Haltung zur „sexualisierten Kommunikation in der Jugend“ zu entwickeln. Katja Schürer und Ilja Sokolowski stellten im Workshop 2 „Sexualerziehung in der pädagogischen Praxis“ Erfahrungen und Methoden aus der Jugendsozialarbeit vor. Die Wünsche und Vorstellungen von Mädchen und Jungen über ihre Sexualität und Partnerschaft sind überraschenderweise sehr ähnlich. Das zeigen die Praxiserfahrungen der langjährlichen Arbeit und waren Gegenstand der Diskussion. Im Workshop 3 „Let’s talk about Porno – Arbeitsmaterialien für Schule und Jugendarbeit“ präsentierte Thomas Podhostnik das klicksafe Arbeitsmaterial „Let’s talk about Porno“. Vor der Thematisierung im schulischen wie im außerschulischen Kontext sollten sich die Pädagogen/innen jedoch die Frage stellen, ob sie dieses Thema anstoßen können und möchten. Deutlich wurde die Problematik, etwas zu thematisieren, was nicht explizit gezeigt werden darf. Die subtilen und bildfreien Materialien von klicksafe können da einen Einstieg bieten. Dr. Daniel Hajok verdeutlichte im Workshop 4 „Pornografie und andere Darstellungen von Sexualität. Aktuelle Regelungen des Kinder- und Jugendmedienschutzes“ den Pädagogen/innen das Spannungsfeld zwischen dem gesetzlichen Anspruch des Kinder- und Jugendschutzes und der medialen Lebenswelt. Neben Konsequenzen für die Praxis ging Dr. Daniel Hajok auch auf aktuelle gesetzliche Entwicklungen ein. In Workshop 5 „medienbewusst.de: Wie kann sexualbezogene Medienkompetenz gefördert werden“ wurde das Onlineportal www.medienbewusst.de als Anlaufstelle für Fragen rund um die Medienpädagogik näher vorgestellt. Im Workshop wurden Potentiale, Gefahren und Kanäle der sexualbezogenen Mediennutzung aufgezeigt. Insgesamt zeigte die Fachtagung die Bedeutung des Themas „Jugendsexualität und neue Medien“ für die schulische und außerschulische Arbeit. Die Diskurse in den Workshops verdeutlichten, dass den Pädagogen/innen, Erzieher/innen und Eltern zahlreiche Orientierungshilfen und Handlungsoptionen für die erzieherische Praxis zur Verfügung stehen. Jochen Fasco, Direktor der TLM, betonte im Nachgang der Veranstaltung, dass „der Umgang mit sexualisierten Medieninhalten stets von zwei Seiten bearbeitet werden muss. Zum einen ist es unabdingbar, eine technische Lösung über den Jugendmedienschutz zu gewährleisten und diese auch mit juristischen Sanktionen zu verbinden. Zum zweiten muss die Medienbildung diese Thematik mit den Kindern und Jugendlichen, Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen behandeln. Nur wenn Jugendmedienschutz und Medienkompetenzvermittlung zusammenarbeiten, kann ein bestmöglicher Schutz für die Schutzbedürftigen entstehen.“